Emerging Particles – domestizierte Muster
Ausstellung in der EEG – essential existence gallery; ein Beitrag in Vorbereitung auf „Utopia Attraktor“.
Westwerk, Karl-Heine-Straße 93, Tor B, 04229 Leipzig
Vernissage am 3. Juni 2011
Am selben Abend findet auch die Finnisage von „rustin ruins of utopia“ mit Visualisierungen von Sune Peterson (DK) und einer Audio-Performance von „Isle of Sound“ statt.
Thema der Ausstellung sind grafische Muster, bei denen selbstähnliche Eigenschaften „herangezüchtet“ worden sind. Das bedeutet, daß bestimmte Formen in verschiedenen Maßstäben auftreten. Zur Verdeutlichung dieses Phänomens werden die Muster vier mal vier Meter groß abgebildet.
APERIODISCHE MUSTER
Für Strukturen, die auf Ersetzungsmodellen beruhen, wird eine Nomenklatur eingeführt, die analog zur DNA die Herstellungsanweisung der Struktur codiert. Es zeigt sich, daß manche Kombinationen bei Vervielfältigung Tendenzen zu Selbstähnlichkeit aufweisen; mittels Variation und Kreuzung verschiedener Codes werden Muster mit diesen selbstähnlichen Eigenschaften herangezüchtet. Diese Eigenschaften werden empirisch gefunden und lassen sich nicht direkt aus den zugrunde liegenden Formen vorhersagen, womit die gezeigten Strukturen auf das Phänomen „Emergenz“ verweisen.–>
UTOPIE – EMERGENZ
Die Entstehung neuer, unerwarteter Eigenschaften aus der Kombination bekannter Bausteine wird Emergenz genannt. Durch unterschiedliche Kombination von Teilchenarten in einem Atom entstehen beispielsweise die verschiedenen chemischen Elemente mit ihren unterschiedlichen Eigenschaften. Diese Elemente verbinden sich zu Molekülen und replizieren sich selbst (DNA) bzw. setzen Bausteine zu Organismen zusammen, die Organismen beginnen zu kommunizieren und Gedanken auszutauschen, Gedankensysteme werden strukturiert und kommunizieren auf Metaebene miteinander – man sieht, daß der Blick auf ein Glied in dieser (Organisations-)Kette keine Schlüsse auf das darauffolgende Kettenglied ermöglicht. Als gedankliche Weiterführung böte sich die Hypothese an, daß Gedanken durch höhere Organisationsebenen strukturiert sind, die für ein einzelnes Individuum abseits von Religion oder Propaganda nicht zu fassen sind, und wir die Stellung von Neuronen in einem Ãœber-Gehirn einnehmen, dem der Zugang zu seinen Neuronen fehlt (wie es beim menschlichen Gehirn ebenso der Fall ist) und dessen geheimnisvolle Prozesse uns genauso verborgen bleiben wie einem Molekül ein Gedanke verborgen bleibt.
APERIODIZITÄT – MASZSTABSLOSIGKEIT – NOMENKLATUR – DNA
Zum Zeichnen nicht-periodischer Muster wurde ich erstmals auf einer Reise nach Damaskus 2005 beim Studium von Ornamenten inspiriert. Es handelte sich um ein Experiment mit einem regelmäßigen, „klassisch islamischen“ Muster, in dem sich eine Störung durch Iteration (wiederholte Anwendung auf sich selbst) vervielfältigte, wonach das ursprüngliche Motiv völlig entzeichnet zurückblieb. Die Suche nach einer Systematik unregelmäßiger Strukturen führte erst über Zufallskombinationen und Anordnungen mittels Zufallsparameter schließlich zu mathematischen Modellen (sogenannte Lindenmayer-Systeme, mit Fraktalen verwandte mathematische Ersetzungssysteme). Jedes Motiv besteht aus Vervielfältigung mindestens einer Grundform nach einer konstanten Vorgabe. Um in der Vielfalt an Manipulationsmethoden den Durchblick zu behalten und um Ergebnisse zu vergleichen ist es zweckmäßig, eine formen- und methodenübergreifende Nomenklatur zu schaffen. Von der Funktionsweise her läßt sich dieser Code als eine Art primitiver DNA verstehen, welche die Wachstumsanweisungen der Struktur codiert. Die Nomenklatur selbst entwickelt sich ebenfalls weiter; mit zunehmender Zahl an Parametern verfeinern sich die Möglichkeiten gezielter Manipulation. Bei Vervielfältigung beginnen manche Motive, eine Art Eigenleben zu entwickeln (das können Formen oder Muster oder Eigenschaften sein). Durch Mutation der DNA oder durch gezielte Züchtung lassen sich die gewünschten Eigenschaften herausarbeiten oder sich an ein Ergebnis herantasten. Für das Thema Utopie-Emergenz ist dies die Eigenschaft der Selbstähnlichkeit, also die Entwicklung von Strukturen, deren Erscheinung über mehrere Maßstäbe hinweg die gleichen Grundzüge aufweist und so auf die bereits erwähnte Organisationskette und die Möglichkeit ihrer Weiterführung verweisen.
WESTWERK
Auf der Grundlage der Kombination bestehender Elemente zur möglichen Herausbildung emergenter Eigenschaften und einer höheren Organisationsebene soll der Bezug zum Ausstellungsort von „utopia attraktor“ hergestellt werden. Als sichtbarstes Element bietet sich im „Westwerk in Plagwitz als Neuron des Industriellen Produktionsnetzwerks“ die Infrastruktur an: Straßennetz, Eisenbahnnetz, Kanalnetz mit Karl-Heine-Kanal. Ursprünglich als Endstation und Depot der Pferdebahn nach Leipzig erbaut, danach als Industriearmaturenwerk Leipzig (IAL) und mittlerweile als Kulturzentrum genutzt, markiert das Westwerk funktional und geografisch die Grenze zwischen Wohn- und Industriegebiet in Plagwitz. Als Bezug zum Ausstellungsort findet auf dem Jahrtausendfeld eine Bepflanzung mit Sonnenblumen in Form eines maßstabsunabhängigen Musters statt.
BILDER EINER AUSSTELLUNG
Fotos: Thomas Puschmann, Christian Hartwig, Laurenz Andritz